Liederatur Musiker Jochen
14 | ALSTERTAL MAGAZIN MAGAZIN Das ist Liederatur! Musiker Jochen Wiegandt (Liederjan) macht sich seit Jahren um die Erforschung alten norddeutschen Liedguts verdient. In seinem neuen Buch präsentiert er wieder Geschichten hinter bekannten und unbekannten Songs . Wir sprachen mit ihm über besonders spannende Funde! Alstertal Magazin: Wie oft kommen Menschen zu Ihnen, um Ihnen altes Liedgut und Geschichten vorzustellen? Wie häufig kommt es vor, dass Sie dabei auf etwas stoßen, was Sie wirklich noch gar nicht gehört haben? Jochen Wiegandt: Meistens werden beim Singen bei meinen Konzerten Erinnerungen wach und Leute kommen hinterher zu mir und verraten ihre Versionen oder sagen schon beim Vortrag, dass sie das eine oder andere anders kennen und geben dann gerne ihre Varianten preis. Das ist schön und lockert immer die Atmo auf und es kommt zum Dialog während des Programmes. Das macht Spaß! Wirklich ganz Neues ist aber eher selten bei solchen Gelegenheiten. Manchmal allerdings fin - det sich bei Wohnungsauflösungen allerlei aus alter Zeit oder jemand ruft an und ich bekomme handgeschriebene Liederbücher, Fotos oder Zeitungsartikel, in denen ich Neues finde. Wenn Sie der Entstehungsgeschichte eines Liedes auf den Grund gehen wollen, wie gehen Sie da vor? Suchen Sie in Archiven? Ich habe eine ganz gute Liederbuch -und Sekundärbibliothek zu Hause, da bin ich gut ausgerüstet, darüber hinaus gibt es in Hamburg eine formidable niederdeutsche Bibliothek und eine tolle NDR- Büchersammlung mit Zeitungsar - chiv. Das ist der musikalische Grundschatz, dann gibt es für das neue Seemanns-Lieder-Buch zum Beispiel das Shanty-Archiv des Lotsenchores Knurrhahn in Kiel eine super Quelle. Und dann will ich ja auch immer Fotos, Zeitungsartikel, Autogrammkarten, Billetts und Erinnerungsstücke haben, um anders an die Quellen zu kommen und das geht übers Internet mit viel Raffinesse ganz gut. Welcher Lied-Hintergrund hat Sie besonders überrascht? Das Lied Wir lagen vor Madagaskar! Hier waren alle Forscher von dem japanisch-russischen Krieg von 1905/06, in dem Madagaskar eine Rolle spielte ausgegangen, aber es kommt von ganz woanders her und hat eine spannende (Zeit-)Geschichte der 1930er Jahre in sich! Es ist heute eines unserer beliebtesten Freizeitlieder, aber ist nie ein Seefahrts-Lied gewesen, im Gegenteil, und Madagaskar war auch nicht immer der besungene Ort, es kommen auch Caracas oder Singapur vor. Später wurde es dann in die Mundorgel aufgenommen. Und der Re- frain: Wenn das Schifferklavier an Bord ertönt. gehörte eigentlich gar nicht dazu, sondern Lesen Sie es selbst nach es ist eine dolle Geschichte! Das ist Liederatur! Ihre Veröffentlichungen zeigen, dass die Hamburger sehr kreativ waren in der Liedkomposition. Heute hingegen entstehen nicht mehr so schnell derartige volkstümliche Gassenhauer. Woran liegt das? Am fehlenden Milieu, an den neuen Medien..? Wo sowieso gesungen wird, gibt es immer Menschen, die sofort neue Melodien oder Arrangements machen. Bestes Beispiel ist der Fußball, da wird parodiert ohne Rücksicht auf Gema und Geschmack. Das ist aber Klasse, denn nur so, wenn es Spaß macht, bleiben die Lieder lebendig. Früher war es gang und gäbe, z.B. irgendwo gehörte Lieder für andere Landstriche umzutexten. Städtenamen z.B. wurden beliebig ausgetauscht. Heute steht das individuelle Selber-Singen mit eigenem Stil nicht mehr hoch im Kurs. Es wird in den Medien gefordert, Du musst singen wie Madonna, dann kannst Du gut singen. Wie blöd ist das denn? Christian Luscher Hallo, hier Hamburg! Lieder und ihre Geschichte(n) von Waterkant und See von Jochen Wiegandt, mit Bildern von Michael Zapf, hat 256 Seiten, kostet 17,95 Euro und erscheint am 6. April bei Edel Books. Erzählt Spannendes zur Entstehung klassischer norddeutscher Lieder: Jochen Wiegandt. Fo to : M ic ha el Z a p f