Emotionale Achterbahnfahrt Hamburg

26 | ALSTERTAL MAGAZIN J ohn steht mit dem Rücken zur Wand. Der Protagonist des Romans Hamburg Schulterblatt realisiert, dass ihm das letzte Wochenende in Freiheit bevorsteht, ehe er für mehrere Jahre ins Gefängnis muss. Ein letztes Wochenende in Hamburg mit seinen besten Freunden Tarek, Max und Nils das ist Johns letzter Wunsch. Zu verlieren, so glaubt er, hat er ohnehin nichts mehr. Was erst einmal so klingt, wie die Hamburger Variante des Filmeklas- sikers Hangover, entpuppt sich schnell als weitaus mehr. Hamburg Schulterblatt erzählt die Geschichte einer tiefgründigen Männerfreund- schaft, die Seite für Seite tiefer in das Seelenleben der vier Freunde aus Hamburg blicken lässt. Ich wollte auf einfühlsame Art und Weise einmal eine solche Männerfreundschaft beschreiben und für mich aufarbeiten, erzählt Autor Kai Lüdders, dessen eigene Clique als Inspiration für das Buch diente. Sich auch von seiner schwachen Seite zeigen zu können, gehört für den gebürtigen Saseler in jeder Hinsicht dazu. So würde sich die zarte Seite in einer guten Freundschaft zwar selten, dafür aber umso heftiger zeigen. Und das wollte ich vor authentischer Kulisse beschreiben. Dass Lüdders nicht über eine beliebi- ge Stadt, sondern über sein Hamburg schreibt, wird schon daran deut- lich, dass sich die Geschichte eher abseits der Hamburger Hotspots abspielt. Statt der weltbekannten Großen Freiheit stehen beispiels- weise ein Autoscooter auf dem Emotionale Achterbahnfahrt Wenn ein waschechter Hamburger Jung einen Roman über seine Heimatstadt schreibt, kann man mit einer Geschichte rechnen, die weit über das hinausgeht, was ein üblicher Stadtroman zu bieten hat. Mit Hamburg Schulterblatt hat der Saseler Schriftsteller Kai Lüdders genau das geliefert. Hamburger Dom, die Stammkneipe der Freunde in der Sternschanze oder eine Altbauwohnung in der Eimsbütteler Weidenallee im Mittel- punkt der Geschichte. Weil das Elternhaus des Protagonisten in Wellingsbüttel steht, ist so- gar das Alstertal Schauplatz für eine der aufreibendsten Szenen des gesamten Romans. Mehr als einmal gelingt es Lüdders, bei dem Leser Gänsehaut zu erzeugen. Wo es Tarek, John, Nils und Max als nächstes hin verschlägt, bleibt meist ebenso unvorhersehbar wie der Ausgang dieses letzten Wochenendes, das mit einem Geständnis bei einer Flasche Wein auf dem Hamburger Schulterblatt beginnt. Angesprochen auf die Parallelen zu seinem Leben verweist Lüdders auf sein persönliches Empfinden. Es steckt vor allem das Gefühl darin, das mich und meine Freunde jahrzehntelang umgeben hat. Mit Hamburg Schulterblatt ist dem gebürtigen Saseler ein Roman gelungen, der einerseits die Grundstatuten der Freundschaft kritisch hinterfragt, andererseits aber auch als Liebeserklärung an seine Hei- matstadt durchgeht. Obwohl Lüdders inzwischen seit acht Jahren in Berlin lebt, fühlt er sich der Hansestadt noch genauso verbunden wie damals. Jedes Mal, wenn ich aus Berlin wieder nachhause komme, regt sich etwas in mir, erklärt er. Auch hier spielt die Wahrnehmung wieder eine entscheidende Rolle: Es ist schwer mit Worten zu beschreiben, aber es ist ein ganz tiefes Gefühl der Verbundenheit. jb In Sasel aufgewachsen und trotz seines Umzugs nach Berlin vor acht Jahren noch immer eng mit Hamburg verwurzelt: Schriftsteller Kai Lüdders. Kai Lüdders (r.) und Redakteur Jonas Bormann nach der Buchpräsentation auf dem Schulterblatt. MAGAZIN Kai Lüdders: Hamburg Schulterblatt. 284 Seiten, Velum Verlag, Taschenbuch, 12,99 Euro. ISBN: 978-3947424023 BUCHTIPP Fo to : p riv a t